Siemensstadt 1946

Am 17. Juli 1946 nahmen P. Klinski, P. Welzel und jugendliche Helfer den Ausbau des Hauses in Angriff. Als vorläufiger Leiter des Hauses in der Großen Hamburger Straße wurde P. Koch bestimmt. Da die Besatzungsbehörden Auflagen gemacht hatten, alle über 17 Jahre alten Jungen müssten das Heim verlassen, wurde das Aufnahmealter auf zwölf Jahre gesenkt. Dies hatte eine neue Gliederung der Hausgemeinschaft zur Folge, es gab nun Schüler und Lehrlinge.
Dem Heimleben konnte so aber auch mehr als bisher salesianisches Gepräge gegeben werden. Neben P. Koch blieben im ersten Berliner Haus drei Priester und zwei Laienmitbrüder. Ende Juli 1950 wurde für den nach Ensdorf versetzten P. Koch P. Ackerschott neuer Heimleiter in der Großen Hamburger Straße.

Der von ihm begonnene Aufbau einer Blaskapelle erwies sich als sehr viel versprechend; fast die Hälfte der Jungen war damit beschäftigt und bildete ein hörenswertes Orchester. Eine Konzertreise im Juli 1951 durch das katholische Eichsfeld wurde ein großer Erfolg, ein versöhnlicher Ausgleich für den Verlust des Ferienheimes in Ferch am Schwielowsee, das den Jugendlichen seit August 1947 für einige Jahre zur Verfügung gestanden hatte.

Als Ausweg unternahm P. Broja mit den Jungen auch Fahrradtouren und half ihnen, Land und Leute kennen zu lernen. Inzwischen waren wieder einige Wechsel an Mitbrüdern gewesen, und P. Kretschmer hatte die Leitung des Heimes übernommen. Mit P. Broja, Herrn Faßbender und gelegentlichen Helfern versuchte man, trotz ständiger Bespitzelung und Bedrohung wie in den dreißiger Jahren, den Jugendlichen zu helfen, die, von auswärts kommend, in Berlin ihrer Weiterbildung nachgingen. Zumeist waren dies Studenten, vor allem Musikstudenten, die dem Leben in der Gemeinschaft Farbe und Atmosphäre geben konnten. An Festtagen war das in der Qualität der Darbietungen angenehm festzustellen. Die Zahl der betreuten Jugendlichen betrug 1955 noch 50 im Heim und 15 außerhalb, nahm aber in den folgenden Jahren immer mehr ab. Ein Höhepunkt des Heimlebens war wohl noch einmal die Feier des 25jährigen Jubiläums in Berlin am 31. Januar 1959. Kardinal Döpfner zeigte durch seine Teilnahme an den Feierlichkeiten die Wertschätzung, die der Salesianerorden im Bistum genoss. Trotz vieler Schwierigkeiten ging das Heimleben mit viel Engagement und viel Einsatz weiter. Die alljährlich aufgeführten Theaterstücke fanden großen Anklang. Ebenso die musikalischen Leistungen der Blaskapelle, die eifrig in den Diasporapfarreien der Umgebung zu liturgischen Feiern spielte.

Im März 1963 berichtet die Chronik neben den Sorgen um die Zukunft von einer neuen Aufgabe des Don Bosco-Heimes. „Am 20. März wurde das Noviziat eröffnet ... So ist unser Heim ein Noviziat geworden.“
Am 05. Juni 1963 nimmt der Provinzial die Einkleidung von zwei Novizen vor, von denen am 19. März 1964 einer durch das Ablegen der Gelübde sein Noviziat beendet.
Der 15. April 1968 ist für die salesianische Familie ein festlicher Tag. Kardinal Bengsch weihte an diesem Ostermontag den ersten Salesianer in Berlin zum Priester. Joseph Kelm aus Berlin-Karlshorst, St. Marien, feierte am 24. April im Don-Bosco-Heim ein Hochamt.

Die totale Trennung zwischen Berlin-Ost und Berlin-West machte eine Weiterführung dieses Werkes leider unmöglich.
Nach dem krankheitsbedingten Ausfall von Pater Kretschmer entschlossen sich die Obern schweren Herzens, das Heim zu schließen und das Haus dem Eigentümer, dem Caritas-Verband, zur Verfügung zu stellen. Seit dem 17.06.1969 dient es nunmehr als Wohnhaus für angestellte Schwestern des nahe gelegenen Hedwigkrankenhauses.
P. Broja verblieb als einziger Mitbruder im Ostteil der Stadt und wurde von der Diözese im seelsorglichen Dienst eingesetzt.
Die Freunde und langjährigen Helfer bildeten einen Freundeskreis, der die in der Vergangenheit aufgebauten inneren Bindungen weiterpflegte. Herr Koch baute mit den ehemaligen Musikern einen musikalischen „Freundeskreis Don Bosco“ auf und wirkt noch heute bei verschiedenen kirchlichen Anlässen mit.

Es fällt nicht leicht, einem solchen Werk den Grabgesang zu singen, wenn es nicht von einem Nachfolgewerk in seinem Wirkbereich übernommen werden kann. Was nur zur Hilfe für junge Menschen gedacht und gepflegt worden war und selbst die schwersten Krisenjahre des Krieges überdauern konnte, fiel jetzt der unseligen Trennung zum Opfer.
Es ist sicher nicht falsch, an dieser Stelle allen Helfern des Werkes zu sagen, dass im Reiche Gottes mit den Maßen gemessen wird, die Christus gesetzt hat. Nicht der äußere Erfolg entscheidet über den Wert vor Gott, sondern die dienende Kraft des Herzens, der Gehorsam dem Anruf Gottes zur Rettung der Menschen gegenüber. Hierin war das Werk erfolgreich und berechtigt zu innigem Dank Gott und allen gegenüber.

Die schon erwähnte, von P. Klinski im Juli 1946 bezogene Neugründung in Siemensstadt musste gründlich überholt werden. Der Bruder von P. Klinski, der Tischlermeister Kasimir Klinski, kam aus der Gefangenschaft und half als Retter in der Not. Der Winter unterbrach die Renovierungsarbeiten, Mitbrüder und Jungen hausten bei kargem Essen in schlecht geheizten Räumen. Am 13. Juni 1947 konnten schließlich Haus und Kapelle durch Kardinal von Preysing eingeweiht werden. Bereits kurze Zeit später war das Haus mit 170 Jungen belegt.

Eigene Werkstätten wie Tischlerei, Schlosserei, Schuhmacherei und Buchbinderei bildeten eine Anzahl Jungen im eigenen Haus aus. Für die Freizeit wurden Sport-, Musik- und Bastelgruppen gebildet und für Unterhaltung und Spiel gesorgt. Eine neue Orgel begleitete ab dem 31. August 1947 die Liturgie und diente auch zur Schulung der Jungen bei gottesdienstlichen Gesängen.
Neben den neuen Mitbrüdern versahen auch bald vier Ordensschwestern von den Armen Mägden Mariens Küche, Wäscherei und Hausputz und wurden zu einer unentbehrlichen Stütze des Hauses. Auch in Siemensstadt wird ab April 1948 eine Blaskapelle aufgebaut, Ende Juni ist bereits der erste Auftritt.
Die Kapelle konnte bald bei großen Anlässen in Berlin die musikalische Gestaltung übernehmen: im Jahre 1949 beginnend für jedes Jahr den Bekenntnistag der katholischen Jugend von Berlin, die Caritas-Straßensammlung, mehrere Prozessionen, Volksfeste, Katholikentage und der gleichen. Im Jahre 1950 eröffnete das Blasorchester zusammen mit einer Theatergruppe die Westfahrten der Berliner Jugend und war mit 70 Jungen drei Wochen in Westfalen und dem Rheinland unterwegs. Sie gestalteten in großen Sälen bunte Abendprogramme, gaben Werkkonzerte und konnten überall die Begeisterung genießen, mit der sie als „Berliner Jungen“ gefeiert wurden. Es war das erste Jugendblasorchester, das man nach dem Kriege im Westen zu hören bekam.

In den folgenden Jahren waren während der Sommerferien mehr und mehr nicht nur die Musiker, Freizeit sondern auch die inzwischen durch P. Karl Ziegler gegründeten und zu eigenem Stamm entwickelten Pfadfinder und sonstige Gruppen in der Bundesrepublik zu Zelt- und Wanderfahrten unterwegs. Die Jungen gewannen neue Eindrücke und Kontakte, das Heimleben wurde belebt. Durch Vor- und Nachbereitungen waren die Jungen lange beschäftigt, die Gemeinschaften fanden sich enger und harmonischer zusammen, und Erfolgserlebnisse wirkten sich fördernd auf die ganzheitliche Entwicklung aus.

Am Ausgang des Jahres 1949 berichtet die Chronik bei einer Gesamtfrequenz von 178 Jungen die Aufschlüsselung in 41 Volksschüler, 40 Oberschüler und Gymnasiasten, 17 Studenten, 50 Lehrjungen, 30 Jungarbeiter und Berufslose. Vier dieser Jungen beginnen das Studium der Theologie, zwei wollen den Beruf ihrer Erzieher ergreifen und gehen in das Noviziat der Salesianer, drei Studenten bestehen das Staatsexamen. Die finanzielle Situation des Heimes war bedrückend, weil öffentliche Mittel kaum zur Verfügung standen und monatlich allein für Miete an die Firma Siemens 4.500 DM aufzubringen waren. P. August Klinski wagte aus dieser Zwangssituation eine Werbeaktion in den USA, bei der er viele Freunde für das Berliner Werk gewinnen und das Nötige zum Durchstehen sammeln konnte. Er fand dabei Gelegenheit, den Dank für die wertvollen Care-Pakete-Aktionen in den Hungerjahren nach dem Kriege zu überbringen.
Trotz der schwierigen Finanzlage wagte man im April 1951, ermutigt durch den Bundesbevollmächtigten Dr. Heinrich Vockel, mit Mitteln des inzwischen angelaufenen Bundesjugendplanes in der Richard-Strauß-Straße im Grunewald eine Villa zu erwerben, die, nach den Plänen des Studenten der Architektur Werner Klinski umgebaut, für etwa 70—80 Jungen Unterkunft bieten sollte.

Pater Dr. Emil Tront konnte im September 1952 das neue Heim als erster Direktor übernehmen. Bei der Weihe durch Bischof Wilhelm Weskamp am 14.10.1953 wurden in der Freude über das gelungene Werk Tatkraft, Mut und nie versiegende Glaubenshoffnung der Salesianer, insbesondere von P. August Klinski, gepriesen. „Dank der Zähigkeit P. Klinskis werden wir sicher Gelegenheit haben, ihn bald bei uns wieder zu sehen“, meinte der Vertreter des Bundeshauses in Berlin. Bei dieser Gelegenheit gab ein Bezirksstadtrat den Werken Don Boscos in Berlin das gemeinsame Motto: „Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als der Finsternis zu fluchen.“

Die Funktion dieses nach dem Schüler Don Boscos „Dominikus Savio“ benannten Heimes war: Schülern, Lehrjungen und Studenten ab 16 Jahren aufwärts ein Zuhause zu bieten und Hilfen für Schule und Ausbildung zu geben. Viele Flüchtlinge konnten hier aufgenommen werden und Starthilfe für die Integrierung in den Westen erhalten.

Als nach dem Krieg das ehemalige Verwaltungsgebäude der Elmo-Werke in Siemensstadt angemietet wurde, war abzusehen, dass dies keine ständige Heimat für das Don-Bosco-Heim bleiben konnte. Das Haus genügte modernen Ansprüchen nicht mehr, zudem drängte die Firma Siemens auf eine Änderung. Die hohe Miete tat ein übriges, man suchte deshalb ein eigenes Grundstück.

Der Vorstand der Freunde Don Boscos Berlin e.V.